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Nibbana für jedermann

(3 Seiten)

Ajahn Buddhadasa Bhikkhu

 

 

Wenn Ihr einen Satz hört wie, "Nibbana" für jedermann", werden manche von Euch ungläubig den Kopf schütteln und annehmen, dass Euch jemand einen Bären aufbinden will. Deshalb könnte es sein, dass Ihr überhaupt kein Interesse an diesem Thema habt. Das kommt daher, weil wir so wenig über die Bedeutung des Begriffs " Nibbana " wissen und nicht verstehen, was das eigentlich ist.

Kleinen Kindern wird in der Schule beigebracht, dass Nibbana der Tod der Arahants (die erwachten Nachfolger des Buddha) ist. Laien wurden in Thailand gewöhnlich dahingehend informiert, dass Nibbana eine besondere Stadt oder ein Land ohne Leiden, aber dafür mit soviel Glück, wie man sich nur wünschen kann, ist. Dieser Platz wird gewöhnlich von jenen erreicht, die bereits in mehreren tausend Wiedergeburten Vervollkommnung[1] erlangt haben. Die Fortschrittler der gegenwärtigen Generation sehen in Nibbana ein Hindernis für den ökonomischen und sozialen Fortschritt, etwas, das nicht untersucht oder auch nur erwähnt werden sollte. Studenten legen Nibbana gewöhnlich in die Schublade für alte und fromme Buddhisten, weshalb sie diesem Begriff keine Beachtung zu schenken brauchen. Junge Leute halten Nibbana für etwas Schales ohne Geschmack, etwas wirklich Schreckliches. Wenn die Ordinationsanwärter sagen, dass sie ordiniert werden wollen, um Nibbana klar zu erkennen, so ist das meistens ein reines Lippenbekenntnis. Alte Mönche sagen, dass es heutzutage weder Nibbana noch einen Arahant, einen, der Nibbana erlangt hat, geben kann. Schließlich wurde Nibbana zu einem Mysterium, dem niemand Beachtung schenkt, und das Thema wird in den buddhistischen Schriften steril gehalten, um gelegentlich erwähnt zu werden, ohne zu wissen, um was es wirklich geht.

Tatsache ist: ohne Nibbana kann der Buddhismus an sich nicht bestehen. Wenn wir uns nicht für Nibbana interessieren, dann interessieren wir uns auch nicht für Buddhismus. Das wiederum heißt, wenn uns im Buddhismus nichts interessiert, dann erhalten wir auch keine wohltuenden Resultate vom Buddhismus. Ich glaube, dass die Zeit für uns gekommen ist, Nibbana Beachtung zu schenken, und das Beste daraus zu machen. Dann könnt Ihr die Übung an die Bedeutung von Nibbana als der höchsten, veredelndsten Tugend oder als das höchste Ziel lebender Wesen anpassen und wir können uns in unserem täglichen Leben die ganze Zeit mit Nibbana befassen.

Nibbana hat mit dem Tod überhaupt nichts zu tun. Das Wort Nibbana heißt kühl. Auch wenn es von den Laien zu Hause benutzt wird, bedeutete es kühl. Nachdem es ein Ausdruck in der Dhamma-Sprache der buddhistischen Religion wurde, blieb die Bedeutung gleich, bezog sich jetzt aber auf die Kühle, die man durch das Erlöschen der Herzenstrübungen erfährt. In der Sprache der Laien jedoch behält es die Bedeutung der Kühle als Resultat des Erlöschens eines gewöhnlichen Feuers bei.

Im Palikanon wurde Nibbana niemals mit der Bedeutung von Tod angewandt. Wenn über Tod gesprochen wird, findet man entweder das Wort "Marana" oder "Parinibbana."

Nibbana ist ein natürlicher Zustand. Es ist der kühle Geisteszustand ohne jegliche Herzenstrübungen[2] (Kilesa). Dieser Zustand wird zweifach unterteilt: in den ersten Geisteszustand, der frei von Herzenstrübungen ist und deshalb kühl; bei dem jedoch das System der Körpersinne, das die Sinneseindrücke empfängt, noch nicht kühl ist; und in den zweiten Geisteszustand, dessen Körpersinne bereits ebenfalls kühl sind. Die erste Art eines kühlen Geistes kann mit einem hellbrennenden Kohlestück verglichen werden, welches, wenn es gelöscht wird, immer noch zu heiß zum Anfassen ist. Wir müssen eine Weile warten, bis es völlig kühl ist, damit wir es anfassen können.

Die Bedeutung von Nibbana hat sich erst durch die Erklärungen der Menschen späterer Generationen in "Tod" gewandelt. Das ist ein weit verbreitetes Phänomen in dieser Welt. Sogar die Thais verwenden das Wort heute in diesem Sinne. Als Schuljunge wurde mir das so beigebracht, und als frisch ordinierter Mönch habe ich das Wort immer noch so verstanden. Ich habe diese falsche Bedeutung sogar an meine Freunde oder Schüler weitergegeben. Erst nachdem ich den ursprünglichen Palikanon studiert hatte, fand ich heraus, dass Nibbana etwas anderes als Tod ist. Es ist Leben ohne Tod und es ist die Essenz, die alle Lebewesen erhält. Obwohl der Körper dem Tod überlassen bleiben mag, wird der Geist im Zustand von Nibbana nicht sterben.

Auch andere Religionen in Indien, die gleichzeitig mit dem Buddhismus auftraten, haben dieses Wort Nibbana benutzt. Wie aus dem Palikanon hervorgeht, schickten die Anführer der anderen religiösen Glaubensvorstellungen, ihre Leute zum Buddha, um ihn über seine Version des Nibbana zu befragen. Wir können schließen, dass Nibbana das höchste Thema der mit dem Buddhismus zeitgenössischen Religionen war. Unter ihnen mag eine Gruppierung Nibbana als Tod interpretiert haben und mag seine Lehre in Suvannabhumi (Südostasien) verbreitet haben, bevor der Buddhismus in diese Gegend gelangte. Die Bedeutung von Nibbana als Tod war so wahrscheinlich bereits örtlich verankert. Etwas ähnliches ist auch mit dem Begriff "atta" oder "atman" (Selbst) geschehen.

Jetzt wollen wir fortfahren Nibbana, so wie es im Buddhismus gelehrt wird, zu betrachten. Als er den Mönchsstatus annahm, zog der Buddha auf der Suche nach Nibbana - im Sinne des totalen Erlöschens von Leiden, und nicht im Sinne von Tod - von einem Lehrer der damals in Indien bestehenden Sekten zum anderen. Der höchste Bereich, den er fand, war de Bereich von „Weder Wahrnehmung noch Nicht-Wahrnehmung“, d.h. die Ruhe des Geistes bis hin zum Ausmaß von weder Tod noch Nicht-Tod. Das konnte er nicht als ausreichend akzeptieren und setzte seine Suche auf eigene Faust fort. Schließlich ‚erreichte’ er Nibbana, den kühlen Zustand des Geistes, der aus dem Erlöschen der Herzenstrübungen resultiert. Er nannte es "das Ende des Leidens", was das Erlöschen der von den Herzenstrübungen erzeugten Hitze bedeutet. Je weiter unsere Herzenstrübungen schwinden, desto höher ist der Grad der Kühle, den wir erlangen. Das wird so weitergehen, bis der höchste Grad der Kühle erreicht wird, weil alle unsere Unreinheiten vollständig verschwunden sind. Also, je weniger geistige Beeinträchtigungen, desto mehr Kühle oder Nibbana existiert auf einer bestimmten geistigen Ebene. Zusammenfassend kann man sagen, Nibbana ist die Geisteskühle, die aus dem Erlöschen von Herzenstrübungen entsteht, egal ob sie nun durch eigene Anstrengung oder von alleine erlöschen.

Nun wollen wir uns der Tatsache zuwenden, dass Herzenstrübungen auch "Sankharadhamma" (zusammengebraute Dinge), oder Geburt und Tod unterworfene Dinge sind. Daraus folgt, dass Herzenstrübungen auftreten, und dass sie, wenn die damit ursächlich verbundenen Bedingungen nicht länger vorhanden sind, einfach erlöschen. Obwohl dieses Erlöschen zeitlich begrenzt ist, oder, mit anderen Worten, die Kühle nur zeitweilig auftritt, entspricht dieses Phänomen doch der wahren Bedeutung von Nibbana, wenn auch nicht der des Dauerhaften. So existiert also ein temporäres Nibbana für jene, die unvermeidlicherweise noch einige Verunreinigungen übrig haben. Tatsächlich ist es dieses temporäre Nibbana, das alle Wesen erhält, trotzdem sie noch bestimmte geistige Blockaden besitzen. Jeder kann verstehen, dass es niemand aushalten würde, falls die Herzenstrübungen Tag und Nacht, jede Sekunde, ohne Unterlas in uns aktiv wären.


[1] Vervollkommnung in den zu Buddhaschaft führenden Qualitäten (paramit): Großzügigkeit, taugliche Verhaltensweise, Entsagung, Weisheit, Anstrengung, Geduld, Wahrhaftigkeit, Entschlossenheit, liebevolle Güte und Gleichmut.

[2] Gier, Hass, Verblendung, Neid, Eifersucht, usw. Dinge die unser Herz oder den Geist trüben.

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